An diesem Morgen, in diesem banalen Moment des Abschieds, der ihm wie ein Lebewohl vorkam und ihm deshalb schicksalhaft erschien, hatte er gedachte, dass er sie das letzte Mal umarmte, ihre Hand das letzte Mal hielt, sie das letzte Mal nach Hause begleitete. Bevor sie hinter dem Zaun des Wohnheims verschwand, in dem sie untergekommen war, hatte sie ihm eine Kusshand zu gehaucht. Überrascht hatte er mit der gleichen Eleganz darauf geantwortet, voller Begeisterung, wie zwei Liebende, die den Gedanken nicht ertragen konnten, sich für den Tag zu trennen. Sein Blick verschwamm, als er sich der dramatischen Situation bewusst wurde: Die Frau, die er liebte, würde sich von ihm trennen. Er vermutete, dass er sie nie wiedersehen würde. Bemerkte sie seine Traurigkeit? Ihm war es lieber gewesen, sich das Gegenteil vorzustellen. Was war ihrer Meinung nach der Grund dafür, dass er von dieser gedrückten Stimmung überwältigt worden war? Zwischen ihnen deutete offiziell noch nichts auf eine Trennung hin. Außer dass er sie in der Luft wahrnahm, wie den Geruch eines starken Giftes, gegen das er nicht ankämpfen konnte. Er schwieg und hoffte sich zu irren. So oder so schien ihm das Spiel aus zu sein. Mit gesenktem Kopf und langsamen Schritten hatte er den Asphalt überquert, sich vom Gebäude entfernt, hatte angenommen, dass er dieses Viertel vergessen müsste. Er drehte sich um und ging in Richtung seines armseligen 1-Zimmer-Appartements davon. Dort erwartete ihn das Gefühl der Unvollständigkeit genährt von latenter Einsamkeit und neuen Tränen als einziger Gesellschaft. Durch sie hatte er sich an das Verhalten einer aufmerksamen und aufrichtigen Partnerin gewöhnt, die sich regelmäßig meldete, wobei sie darauf achtete, ihren Partner nicht durch eine tägliche Überwachung zu erdrücken. Er selbst ließ ihr ihre Freiheiten. Von einem Tag auf den anderen versuchte nun ein neuer Unterton den vorherigen zu ersetzen, was ihn in einen emotionalen Abgrund stürzte. Als er spürte, wie ihm seine Gefühle brutal aus dem Herzen gerissen wurden, hatte er einen intensiven Schmerz, einem Phantomschmerz gleich, empfunden. Fast zwei Wochen hatte sie sich rar gemacht, hatte er sie vermisst. Er hatte mehrfach versucht sie zu erreichen. Vergeblich. SMS, Anrufe oder sogar E-Mails, es kam keine Reaktion auf seine Versuche Kontakt mit ihr aufzunehmen. Keine Antwort, keine Nachricht; nur Missachtung. Er verstand es nicht, fragte sich, was passiert sein könnte, das die Flucht seiner Angebeteten ausgelöst haben mochte. Umso mehr, da sie geplant hatten am kommenden Wochenende gemeinsam nach Venedig zu fahren. Ihre Liebesgeschichte hatte traumhaft schön begonnen. In ihrer, seit einigen Wochen andauernde Romanze, schien sie nichts trennen zu wollen. Es gab nur ein schicksalhaftes Datum, das sie seit Beginn ihrer Beziehung kannten.
Sie waren sich in der Pariser Metro begegnet; überfüllte Gänge, Menschen in Eile. Inmitten des Ameisenhaufens stand eine verloren wirkende junge Frau und sah in alle Richtungen. Der Bahnhof litt unter umfangreichen Modernisierungsarbeiten. Die Hinweisschilder fehlten. Nur die Pendler kannten ihren Weg, wie perfekt programmierte Roboter im Zusammenspiel miteinander. Er war genauso verärgert wie die junge Frau. Er fand sich nicht zurecht. Dabei war er die langen Tunnel gewöhnt. Da er weder Auto noch Zweirad besaß und ihm Busse zu vollgestopft und zu kompliziert waren, um sich zurecht zu finden, hatte er sich angewöhnt, diesen Maulwurfsbau für die weiter von seinem Wohnort entfernten Ziele zu benutzen. Wenn das Wetter schön war und er sich an einen Ort begeben musste, der ihm nah genug erschien, zögerte er wegen der nachweislich horrenden Fahrscheinpreise nicht, die Strecke zu Fuß zu gehen. Blieben noch die Leihfahrräder von Velib‘, die auf bewundernswerte Weise in ganz Paris verteilt waren; aber auch hier hatte ihn das Abonnementangebot nicht überzeugen können. Er hatte schon versucht, ein Gefährt aus seiner Verankerung herauszuziehen, aber es bestand darauf, daran kleben zu bleiben. Allerdings fand er das Konzept interessant, nur dass die Logik des kapitalistischen Gewinns jede ökologische Initiative zerstörte. Eine verzweifelte und zwiespältige Erkenntnis traf ihn, als er feststellte, dass man in unserem Wirtschaftssystem nicht anders konnte, als in stillschweigender Übereinkunft unserer Machtlosigkeit, eine politische Entscheidung, die den Bürgern zu Gute kommen sollte und die von privaten, geldgierigen Unternehmen umgesetzt wurde, fast schon auf Knien zu akzeptieren.