Über die Kolyma / О Колыме. Книга для чтения на немецком языке

Über die Kolyma / О Колыме. Книга для чтения на немецком языке
О книге

В книгу «О Колыме» замечательного поэта и писателя Варлама Тихоновича Шаламова (1907–1982) вошли автобиографические рассказы, которые пронизаны нестерпимой болью человека, находящегося на грани своих физических возможностей, но не теряющего при этом внутреннюю стойкость. Шаламов пишет, что «лагерь – отрицательная школа жизни целиком и полностью», а дорогу на Колыму называет «дорогой в ад». Но даже в самых страшных, самых тяжелых условиях человек способен сохранить себя, свою духовную независимость.

Настоящее издание дополнено воспоминаниями о Шаламове людей, встретившихся с ним в лагерном госпитале и сыгравших спасительную роль в его жизни.

Книга издана в 2019 году.

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Translated into German by Gabriele Leupold

© MSB Matthes & Seitz BerlinVerlagsgesellschaft mbH, Berlin, 2018

All rights reserved.

© КАРО, 2019

Vorwort

Viele, allzu viele Zweifel plagen mich. Nicht bloß Dinge, die jeder Memoirenschreiber, jeder Schriftsteller, sei er groß oder klein, kennt. Wird irgendjemand diese traurige Erzählung brauchen? Eine Erzählung nicht von einem siegreichen Geist, sondern einem zertretenen. Nicht Bekräftigung von Leben und Glauben[1] im tiefsten Unglück, wie die »Aufzeichnungen aus einem Totenhaus«*, sondern Hoffnungslosigkeit und Zerfall. Wer braucht sie als Exempel, wen kann sie erziehen, vor Schlechtem bewahren und wen Gutes lehren? Wird sie Bekräftigung des Guten sein, trotz allem des Guten – denn im ethischen Wert sehe ich das einzige wahre Kriterium für Kunst.

Und warum ich? Ich bin nicht Amundsen* und nicht Peary. Meine Erfahrung wird von Millionen Menschen geteilt. Zweifellos sind unter diesen Millionen solche, deren Auge schärfer, deren Leidenschaft stärker, deren Gedächtnis besser und deren Talent reicher ist. Sie schreiben über dasselbe und werden sicherlich prägnanter erzählen als ich.

Wer wenig weiß – weiß viel

Es gibt auch andere, »subtilere« Zweifel. In der Literatur gilt als ausgemacht[2], dass ein Schriftsteller gut nur über das schreiben kann, was er gut und gründlich kennt; je besser seine Kenntnis des »Materials«, je gründlicher seine persönliche Erfahrung auf diesem Gebiet, desto gewichtiger und bedeutsamer das von ihm Geschriebene.

Dem kann man nicht zustimmen. In Wirklichkeit verhält es sich anders. Der Schriftsteller braucht die geringe und wenig gründliche Erfahrung, die ausreichend ist für seine Glaubhaftigkeit, eine Erfahrung, die nicht entscheidend Einfluss nehmen kann auf seine Einschätzungen, emotionale wie logische, auf seine Auswahl, auf das gesamte Gefüge seines künstlerischen Denkens. Der Schriftsteller darf das Material nicht gut kennen, denn das Material wird ihn erdrücken. Der Schriftsteller ist der Späher der Leserwelt[3], er muss Fleisch vom Fleische der Leser sein, für die er schreibt oder schreiben wird.

Kennt er die fremde Welt zu gut und zu genau, nimmt der Schriftsteller ihre Bewertungen in sich auf, und nun wird seine Feder geführt und Wichtigkeit, Gleichgültigkeit oder Lächerlichkeit bekräftigt – Bewertungen der fremden Welt. Der Leser wird den Schriftsteller verlieren (und umgekehrt). Sie werden einander nicht verstehen.

In gewissem Sinn muss der Schriftsteller ein Ausländer sein in der Welt, von der er schreibt. Nur dann kann er kritisch sein gegenüber dem Material, [wird er] frei sein in seinen Bewertungen. Ist seine Erfahrung nicht sehr gründlich, dann kann der Schriftsteller, wenn er das Gesehene und Gehörte dem Urteil des Lesers übergibt, die Maßstäbe richtig zuteilen. Wie aber von dem erzählen, wovon man nicht erzählen darf? Man die passenden Worte nicht finden kann. Vielleicht wäre es einfacher zu sterben.

Man kann nicht gut von dem erzählen, was man aus der Nähe kennt.


Tjutschews Auffassung, ein Gedanke, geäußert, sei Lüge*, beklemmt auch mich. Der sprechende Mensch (der geäußerte Gedanke) kann nur lügen, nur schönfärben. Die Fähigkeit, die Seele nach außen zu kehren, ist äußerst selten und Dostojewskij nachzuahmen unmöglich. All das, was auf dem Papier erscheint, ist in gewissem Maße ausgedacht.

Die Krümel von Aufrichtigkeit bewahren, so unansehnlich sie auch seien. Ringen mit der künstlerischen Wahrheit im Namen der Wahrheit des Lebens[4] – diese Aufgabe ist noch nicht so schwer. Schwer ist das andere, dass die Wahrheit des Lebens selbst auf flüchtige Weise wechselhaft ist. Sie ist eine Eintagsfliege, ist weder die, die sie gestern war, noch die sie morgen sein wird. Das Gefühl ist das Einzige, worin der Künstler nicht lügt. Wenn es ihm gelingt, dieses Gefühl auf beliebige Weise an den Leser heranzutragen, ist er im Recht, hat er seine Schlacht gewonnen. Aber wie?! Kann man dieses Gefühl weitergeben, wenn man nicht die Sprache benutzt, die den Künstler auf seinen Irrfahrten begleitet hat, sondern eine andere Sprache – auch eine unvergleichlich reichere, doch eine andere?

Das Gedächtnis*

Die Unvollkommenheit des Instruments, das sich Gedächtnis nennt, lässt mir ebenfalls keine Ruhe. Viele höchst charakteristische Kleinigkeiten sind unweigerlich vergessen – ich muss nach zwanzig Jahren schreiben. Fast spurlos verloren ist allzu vieles – in der Landschaft wie in den Innenräumen und vor allem in der Abfolge der Empfindungen. Der gesamte Ton der Darstellung kann nicht so sein, wie er sein sollte. Der Mensch merkt sich das Schöne und Gute besser und vergisst das Schlechte leichter. Schlechte Erinnerungen bedrücken, und die Kunst zu leben, falls es sie gibt – ist im Grunde die Kunst zu vergessen.

Ich habe keinerlei Aufzeichnungen gemacht, konnte sie nicht machen. Es gab eine einzige Aufgabe: zu überleben. Die schlechte Ernährung führte zu schlechter Versorgung der Hirnzellen – und das Gedächtnis ließ aus rein physischen Gründen unweigerlich nach. Es wird sich natürlich nicht an alles erinnern. Dabei ist ja die Erinnerung der Versuch, das Frühere zu erleben, und jeder weitere Monat, jedes weitere Jahr lassen den Eindruck und die Empfindung unweigerlich verblassen und verändern ihre Bewertung.



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